Foto: Petra Weller

04.02.2022
Erklärung zu "Spaziergängen" und Bündnis gegen Rechts

In seiner Sitzung vom 02.02.2022 befasste sich der Stadtrat mit den als Spaziergängen bekannten Dienstags-Demonstrationen. Angesichts der Demonstrationen stand außerdem der Antrag zum Beitritt zur Allianz gegen Rechtsextremismus in der Metropolregion Nürnberg zur Debatte.

Wie steht der Stadtrat zu den als Spaziergängen bezeichneten Demonstrationen in Herrieden? Eine auf den ersten Blick einfach Frage, die jedoch vielschichtig betrachtet werden muss. Denn es geht um Impfpflicht, Kritik an der Corona-Politik und um Rechtsextremismus.

Nun hat der Stadtrat die "Herrieder Erklärung" verabschiedet. Es handelt sich um einen auf Antrag von Wolfgang Strauß durch die Fraktionssprecher der im Stadtrat vertretenen Gruppierungen ausgearbeiteten Text. Aus unserer Sicht ist es im Endergebnis ein ausgewogener Kompromiss. Einerseits wird das Bedürfnis gewürdigt, dem an Stärke gewinnenden Populismus Einhalt zu gebieten. Auf Betreiben unseres Fraktionssprechers werden aber auch die nachvollziehbaren Sorgen und Ängste zahlreicher Bürgerinnen und Bürger gewürdigt.

Die "Herrieder Erklärung" wurde nun auf change.org als Online-Petition umgesetzt. Sie haben dort die Möglichkeit, sich den Text mit Ihrer Zeichnung zu eigen zu machen. Auf diese Weise können Sie auch ein Zeichen für Besonnenheit in einer nach wie vor sehr fordernden Zeit setzen.

Über die ausgewogene und auf Herrieden bezogene Erklärung hinaus wurde durch die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen außerdem der Beitritt der Stadt zur "Allianz gegen Rechtsextremismus in der Metropolregion Nürnberg" beantragt. Ein Vorschlag, den unsere Fraktion sehr kritisch bewertet hat. Insbesondere deshalb weil sich die Allianz nicht gegen Extremismus im Allgemeinen richtet. 

Aus diesem Grund hat unser Fraktionssprecher Christian Enz in der Stadtratssitzung ausführlich Position bezogen. Damit Sie sich selbst ein Bild machen können, finden Sie die Rede hier zum Nachlesen:


Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen im Stadtrat,

vor allem aber geschätzte Mitbürgerinnen und Mitbürger,

 

soll die Stadt Herrieden dem Nürnberger Bündnis gegen Rechtsextremismus beitreten, weil unter dem Deckmantel dienstäglicher Spaziergänge rechte Parolen und Symbole über Herriedens Straßen getragen werden? Mit dieser Frage beschäftigt sich unser Stadtrat seit der Januar-Sitzung. In dieser hatte Kollege Brummberger nämlich genau diesen Beitritt eingefordert – angesichts der Erkenntnis, dass diese Spaziergänge nicht zu verhindern sind.

Nun, ich glaube wir sind uns alle einig, dass es sich bei den benannten Veranstaltungen keinesfalls um Spaziergänge, sondern Demonstrationen handelt. Diese konfrontieren uns wieder einmal mit einer heiklen Frage: Wie halten wir es mit der Demokratie?

Für mich ist Demokratie ein wenig wie eine große Liebe. Sie begleitet durchs Leben, schenkt Freude, Sicherheit und Freiheit. Gleichzeitig will sie aber auch gepflegt werden – und manchmal verlangt ihre andere Sicht auf die Welt viel Nerven, Nachsicht und Geduld. Und ja, manchmal tut es auch weh.

So schmerzt es auch uns FREIE WÄHLER, Woche für Woche einen Umzug durch Herrieden zu erleben. Denn es stimmt nicht, dass dies nur fremde Krawallmacher und rechte Chaoten sind. So einfach ist es nicht. Deshalb ist es auch nicht richtig, wenn im öffentlich-rechtlichen Rundfunk eine moralierende Comedian formuliert: „Bier besteht zu 90 % aus Wasser – trotzdem heißt es Bier. Also ist eine Demonstration rechtsextrem, wenn nur ein paar wenige Rechtsextreme mitlaufen“.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Jeder Extreme, egal ob rechts oder links, ist einer zuviel. Ich betone das nur um aufzuzeigen, dass es hier um etwas anderes geht. Entscheidend ist, dass es viele Menschen gibt, die mit der Politik der letzten Monate unzufrieden sind. Dieser Ärger hat Gründe. Die Debatte um eine Impflicht zählt dazu. Die Erkenntnis, dass Politiker eine solche Impfpflicht fordern, gleichzeitig wissend, dass aber abwechselnd nicht genug Impfstoff oder Impfpersonal zur Verfügung stehen, hat das Vertrauen in Politik nicht gestärkt. Ebenso wenig die Tatsache, dass viele entscheidende Politiker an den erlassenen Coronamaßnahmen kräftig mitverdienen. Die einen bei zweifelhaften Maskengeschäften, die anderen durch Coronazulagen – die eigentlich fürs Pflegepersonal gedacht waren.

Warum hole ich soweit aus? Weil bereits in der Besprechung der Fraktionsvorsitzenden deutlich wurde, dass allein das Verständnis für unzufriedene Bürgerinnen und Bürger von einigen Stadträten also Solidarität mit Rechtsextremen gewertet wird. Und, geschätzte Damen und Herren, so einfach darf es sich niemand machen.

Wir FREIE WÄHLER und ich Christian Enz als Fraktionssprecher, verstehe, dass Menschen leiden. Die einen emotional – weil liebgewonnene soziale Kontakte weggebrochen sind. Die anderen wirtschaftlich, weil sie ihrer Existenzgrundlage beraubt sind. Diesen Menschen sage ich: Auch ich bin von den negativen Auswirkungen der Coronamaßnahmen betroffen. Auch ich leide unter Einschränkungen und auch ich würde nichts lieber tun, als schnellstmöglich zu unserem früheren Alltag zurückkommen. Doch es geht nicht.

Auch ich konnte nicht nachvollziehen, weshalb die Forschung bei manchen Krankheiten nach Jahrzehnten noch keinen Impfstoff geliefert hat – und bei Corona ging es binnen Monaten. Aber als rational denkender Mensch vertraue ich in Dingen von denen ich keine Ahnung habe auf Experten. Deshalb war ich überzeugt, dass eine Impfung eine gute Sache ist. Trotzdem habe ich mich nicht vorgedrängt. Ich habe den Impfstoff erst denen überlassen, die ihn dringender gebraucht haben. Als ich an der Reihe war, habe ich ihn dann aber dankend angenommen. Übrigens war ich dazu ganz normal im Ansbacher Impfzentrum. An dieser Stelle mein Lob an Landrat, Gesundheitsamt und die ausführenden Menschen. Ich bin überzeugt, es wäre nicht besser zu organisieren gewesen – ihr habt einen guten Job gemacht, und macht ihn noch immer.

Natürlich habe auch ich Angst vor Nebenwirkungen und Langzeitfolgen gehabt. Jedoch ist es im Leben manchmal so: Es gibt nur die Wahl des geringeren Übels.

Weil wir FREIE WÄHLER uns dessen bewusst sind, respektieren wir auch, dass Menschen gegen diese Politik demonstrieren. Dies zeigt, wir Politiker über Ebenen und Parteien hinweg genießen das Vertrauen vieler Menschen nicht mehr. Das ist unser, das ist mein Ansporn für die nächsten Monate und Jahre: Zu zeigen, dass man uns vertrauen kann. Denn nur gemeinsam werden wir Corona schaffen – und die vielen anderen Herausforderungen, die da kommen.

Gleichzeitig sage ich aber auch ganz klar: Wir FREIE WÄHLER distanzieren uns von Extremismus jeder Art. Dies erwarten wir auch von den Veranstaltern der Demonstrationen. Unsere Erwartung ist, dass ihr als Veranstalter dafür sorge tragt, dass auf Herrieder Straßen keine rechtsextremen Symbole gezeigt werden, keine nationalsozialistischen Botschaften verbreitet und Lieder gesungen werden. Wie wir übrigens auch Symbole anderer extremer Strömungen ablehnen. Wir hoffen, dass Polizei und Ordnungsamt gegen alle Verfehlungen mit der ganzen Bandbreite des Rechtsstaates reagieren.

Außerdem erwarten wir, dass die Veranstalter sich in Abstimmung mit der Stadt darum kümmern, dass keine Unbeteiligten behelligt werden. Wenn in den frühen Abendstunden lautstark durch die Gassen gezogen wird, versetzt dies Bewohnerinnen und Bewohner in Altenheimen und Behinderteneinrichtungen in Angst und Schrecken – das darf nicht sein. Wir regen deshalb an, die Route von Demonstrationen so zu legen, dass solche Beeinträchtigungen ausgeschlossen werden können.

Meine Botschaft an dieser Stelle ist klar: Niemand braucht am Dienstag demonstrieren zu gehen, dem es um Coronapolitik oder Impfpflicht geht. Wir sind uns Eurer Sorgen bewusst – und versuchen das Beste für Euch zu erreichen. Was wir brauchen ist für die nächsten Monate noch einmal Unterstützung, nicht Gegenwind.

Euer Unmut ist verständlich, aber kontraproduktiv. Ihr könnt jedoch sicher sein, dass wir Euch ernst nehmen – und alles so gut machen, wie es halt geht. Die Extremisten, die jetzt als Euer vermeintliches Sprachrohr daherkommen, liefern keine Lösungen. Deshalb bitte ich noch einmal um Vertrauen und die Bereitschaft, Einschränkungen hinzunehmen – das Ende der Pandemie ist am Horizont bereits zu sehen.

Ähnliche Worte hat auch Wolfgang Strauß gefunden – und eine Resolution des Stadtrates vorbereitet. Wir haben sie bereits unter den Bekanntmachungen gehört und sie wird in Kürze im Amtsblatt zu sehen sein. Wir tragen diese als Fraktion voll mit.

Gleichzeitig sehen wir den Beitritt zu einer Initiative gegen Rechtsextremismus aus Nürnberg – um den es nun ja geht – aber kritisch. Jede Bürgerin, jeder Bürger, der das möchte, kann selbst Mitglied einer solchen Organisation werden. Aber es ist nicht Aufgabe der Stadt, dies zu tun. Statt solcher Schaufensterpolitik sehen wir den Schwerpunkt der Stadt in Konkretem – wie der bereits angesprochenen Überwachung von Demos und einer sinnvollen Routenplanung.

Darüber hinaus unterstreiche ich, dass Extremismus in der heutigen Zeit in vielen Gewändern daher kommt. Eine Initiative nur gegen Rechts ist hier aus unserer Sicht nicht mehr zeitgemäß. Wäre es eine Initiative gegen Extremismus im Allgemeinen, hätten wir uns für einen Beitritt leichter erwärmen können. So sehen wir die Gefahr, dass Trittbrettfahrer der Trittbrettfahrer die realen Sorgen der Coronazeit für sich ausnutzen.

Um nicht der Gefahr ausgesetzt zu sein Rechtsextremismus Vorschub zu leisten, sind wir leider gezwungen den Beitritt auf Wunsch der anderen Fraktionen mitzutragen – auch wenn unsere Kritikpunkte daran wichtig und berechtigt sind. In diesem Sinn hoffen wir, dass die Stadt als Mitglied dann auch eine Öffnung der Initiative gegen Extremismus aller Couleur vorantreibt.

Abschließend möchte ich noch einmal festhalten: Wir als Menschheit müssen aus der Geschichte lernen um die Zukunft besser gestalten zu können. Doch die Geschichte endet nicht 1945.

Wer heute im Eindruck der Weimarer Republik einfordert, Demonstrationen zu verbieten um den Anfängen zu wehren, der handelt zu kurzsichtig. Der gleiche Reflex hat Willy Brandt einst zum Radikalenerlass bewogen – mit den bekannten Folgen. Es gibt nur einen Ort, an dem beschlossen werden kann, dass eine Demonstration zu unterbinden, dass eine Partei aufzulösen oder ein Mensch zu radikal ist – und das ist nicht der Herrieder Stadtrat. Nicht einmal der Bundestag – es ist das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.

In diesem Sinne vertrauen wir gemeinsam auf Gott, Volk und unsere Mauern einer wehrhaften Demokratie.

Vielen Dank.